Vortrag
Vortrag zur Geschichte der Sendehalle Weimar
Dr. Justus H.Ulbricht · Historiker, Germanist und Publizist
Ein regelrechter Kult um Person und Werk Friedrich Nietzsches begann in Naumburg, im ersten „Nietzsche-Archiv“. Mit dem Umzug in die „Klassikerstadt“ Weimar, das angebliche „Herz deutscher Kultur“ wuchs die Verehrergemeinde um Elisabeth Förster-Nietzsche ebenso an wie die Zahl der Leser ihres Bruders. Dessen Tod zur „Zeitenwende“ 1900 erhob ihn in den Rang eines „Propheten“, „Künders“ oder „Märtyrers“. Henry van de Velde entwarf gar einen Tempel-Stadion-Bezirk zu Ehren Nietzsches; Harry Graf Kessler verdichtete dessen Griechenverehrung zum Motto: „Griechenland contra Manchester“.
Nach dem Ersten Weltkrieg ging die Philosophenschwester in wachsende Distanz zur Kunst der Avantgarde und zugleich zur Weimarer Republik. Der Philosoph galt für immer mehr deutschnationale Bildungsbürger als Vordenker eines „kommenden“, wieder erstarkten „deutschen Reiches“. Für die Forschung und Verehrung Nietzsches wurde das alte Archiv langsam zu klein; man träumte von einer „Nietzsche-Gedächtnis“- oder -„Weihehalle“ und einem größeren Bürotrakt für Editoren und Forscher. Das Archiv war sich der Unterstützung durch Hitler, Mussolini und einflussreiche NS-Granden sicher. Die Halle wurde jedoch nie vollendet, das „Dritte Reich“ ging unter. Der ersehnte „Wallfahrtsort“ der Verehrer mutierte zum Rundfunkstudio; 2000 war auch das vorbei.
Der Kult um Nietzsche wirkt auf uns vielleicht skurril, ist aber ein gutes Beispiel für religiöse Sehnsüchte gerade von Gebildeten. Wie und dass die moderne, säkulare Gesellschaft ständig den Bedarf nach Transzendenz und „Erlösung“ gebiert, lässt sich dort oben über Weimar in der neuen „Sendehalle“ gut erzählen.
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Dr. Justus H. Ulbricht (*1954) studierte Geschichte, Germanistik und Allgemeine Pädagogik in Tübingen (1974–1978/79) danach war er 16 Jahre Hausmann und freier Wissenschaftler. Seine berufliche Laufbahn schließt die Arbeit an der Klassik Stiftung Weimar (1995–2009), am Deutschen Hygienemuseum Dresden (2009/2010) und drei Jahre an der Universität Magdeburg ein. Seit etwa 40 Jahren ist er zudem in der politischen Bildungsarbeit und der außerschulischen, kulturellen Bildung tätig.
Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind: Denkmalsgeschichte, Erinnerungskultur, Kultur und Politik im deutschen Bildungsbürgertum (1800 bis 1950), Klassik-Rezeption, Völkische Bewegung, Jugendbewegung und Religionsgeschichte der „klassischen Moderne“ sowie Regionalgeschichte Mitteldeutschlands.
Di, 16. September · 18 Uhr
Humboldtstraße 36a, 99425 Weimar